Unser Biobauer bewirtschaftet – obwohl er einige Dörfer weiter in die andere Richtung ansässig ist – eine große Wiese in unserem Ort, in dem Revier, in dem mein Mann aktiv ist.
Vor einiger Zeit beim Einkauf im Hofladen stimmten wir ab, dass wir kurz Bescheid bekommen, bevor der erste Schnitt gemacht wird, sodass wir die Wiese nach dort abgelegten Kitzen absuchen können. Und vorletzte Woche kam dann mittags der Anruf: am nächsten Tag soll gemäht werden. Also haben schnell ein paar Leute improvisiert und abends haben wir mit 4 Erwachsenen und 2 Kindern die Wiese mehr oder weniger systematisch abgesucht.
Mit Sicherheit gibt es keine verlässlichen Statistiken dazu, wieviele Kitze jedes Jahr beim Mähen ums Leben kommen, aber es werden enorm viele sein. Einiges an Schaden kann man abwenden, indem man die Wiesen am Vortag absucht, Unruhe verbreitet, Flatterband aufstellt oder Geräte, die Misstöne erzeugen – je mehr Unruhe desto besser. Denn Mama-Reh ist ja darauf angewiesen, einen ruhigen und damit vermeintlich sicheren Ort zum Ablegen des Nachwuchses zu finden, während sie unterwegs ist. Wiesen, die nicht vorab abgesucht, sondern ‚aus heiterem Himmel‘ gemäht werden, sind also Kitzfallen.
Interessant ist der Aspekt, dass nur dieser Biobauer es geschafft hat, einen Anruf von etwa 30 Sekunden zu tätigen um uns zu informieren, dass er am nächsten Tag mähen wird – obwohl er nur eine Wiese hier hat. Alle anderen (konventionellen) Bauern, die sich das restliche Land teilen, hatten diese 30 Sekunden nicht. Schade um die Kitze.
Man kann aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie nach den Jägern schreien werden, wenn Wildschweine ihre Äcker umgegraben haben, damit diese mit Harken bewaffnet die Krume wieder glatt ziehen. Ich sage nicht, dass Biobauern die besseren Menschen sind, aber ich behaupte, dass gute Menschen eher auf die Idee kommen, biologisch zu wirtschaften. Wen man nun unterstützt muss man ja selber wissen, mir wird es zumindest auch in Zukunft ein gutes Gefühl geben, eben auf diesem Hof einzukaufen.
Mit 4 Erwachsenen und 2 Kindern suchten wir also die Wiese ab und es war deutlich zu merken, dass es sozusagen ‚Hot Spots‘ gibt, dort befinden sich viele Liegestellen auf wenig Raum. Einmal konnte ein Hase aus seiner Sasse flüchten, kurz bevor ich ihm auf den Kopf getreten bin. Ein zeitgleicher lauter Aufschrei ‚HASE!‘ bestätigte, dass ich als Treiber zu gebrauchen bin.
Kitze haben wir zwar nicht gefunden, aber ein Reh lief über längere Zeit aufgeregt neben der Wiese hin- und her. Ein zugehöriges Kitz muss also irgendwo gewesen sein. Da wir es nicht gefunden haben und wir uns beim nächsten Einkauf im Hofladen versichert haben, dass auch keines totgemäht wurde, hat die Unruhe, die wir verbreitet haben wohl ihren Zweck erfüllt und Mama hat das Baby an einen sichereren Ort gebracht.
Die alternativen ’sicheren Orte‘ ringsum sind Wiesen von konventionellen Bauern, die mit einer Monokultur von Atomgras eingesät sind. Blaugrün schimmern sie, sind für Wild ziemlich unattraktiv und wachsen so dicht, dass es schwierig ist, dort zu laufen. Mit kleinen Kindern Atomgraswiesen nach Kitzen abzusuchen, brächte also ohnehin nicht viel weil sie nicht vorankommen und den Spaß verlieren.
Spaß hatten die beiden hingegen auf der Biowiese, auch wenn die 2,5jährige irgendwann logischerweise schlapp machte, so gab es zwischen Dutzenden verschiedener Grassorten und Wildkräutern genug zu untersuchen, ins Haar zu flechten und zu erzählen, sodass wir die beiden ruhigen Gewissens mitten auf der Wiese haben sitzen lassen.
Eine so genannte ‚Jagdgegnerin‘ trafen wir auch noch, die meisten dieser Spezies zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie, ohne die Rechte und Pflichten der Jägerschaft zu kennen, die Futterluke aufreissen und prinzipiell erstmal dagegen sind.
Äcker nach nächtlichen Wildschweinaktionen glattziehen, beobachten, zählen, auf der Strasse verunfalltes Wild erlösen, Kitzsuche machen – das alles und noch viel mehr gehört zu den Aufgaben, die Jäger in ihrer Freizeit erledigen (und dafür ihren Anteil an der Pacht zahlen).
Ich bekomme regelmässig Anfälle von Bluthochdruck wenn ich die Lügen höre, die einige Organisationen über die Ausübung der Jagd verbreiten. Wie kann man so schamlos sein?
Gut, diese Lügen zusammen mit einem Foto von knopfäugigen, wehrlosen Rehen bringen Sympathien und damit Mitgliedsbeiträge von Menschen ein, die sich lieber leichtgläubig aufregen anstatt sich eine eigene Meinung zu bilden, aber grundsätzlich fällt mir nicht viel mehr dazu ein als WTF?
Aber das Wesentliche ist ja das echte Leben, also das wahre, wirkliche und in diesem Falle war die Aktion wohl ein Erfolg, kein Kitz tot, die Kinder hatten jede Menge Spaß und Naturerlebnis, wir hatten nach 2 Stunden strammen laufen durch hohe Gräser ein gutes Pensum absolviert und am Ende gab es dann den halbjährlich fälligen Burger.
Ach, noch was: dieses Bild wollte ich noch hierlassen zum drauf rum denken. Und ein Denkanstoss dazu vielleicht noch: viele Menschen besitzen ein wenig Land, welches sie verpachten. Ihr alle habt die Gelegenheit Politik zu machen gegen die Vergiftung unserer Böden und Gewässer und letztlich Nahrungsmittel. Man kann Ackerflächen und Wiesen zum grösstmöglichen Profit verpachten oder mit reinstmöglichen Gewissen.
Man kann aktiv auf den nächsten Biobauern zugehen und ihm das Land anbieten. Ich weiss das. Damit schafft man nebenbei auch noch eine Oase für die Wildtiere, denn die wissen, was ihnen gut tut und halten sich lieber auf Naturwiesen auf, auf denen eine bunte Vielfalt von Pflanzen gedeiht als auf Atomgraswiesen.
Eine tolle Aktion! Bei uns in der Gegend gibt es inzwischen ein Kitz-Such-Bündnis, das zumindest im Mai mehrfach gerufen wurde, auch von konventionellen Landwirten, aber ich glaube, wer in dieser Gegend Landwirtschaft betreibt, neigt sowieso zum Idealismus. „Atomgraswiesen“ kenne ich hier gar nicht, ich sehe immer nur wilde bunte Gemische aus verschiedenen Gräsern und dazwischen Kerbel, Hahnenfuß, Sauerampfer, Margeriten usw.
Jedenfalls gibt es also diese Facebook-Gruppe (da ist Facebook doch mal gut ;)), bei der die Bauern Bescheid geben können, wenn sie mähen wollen. Dann ziehen die Kitz-Sucher als Kette durchs Feld. Allerdings tragen die teilweise die Kitze aktiv weg, zwar auf einem Polster von Gras, aber ich frage mich dann natürlich trotzdem, ob das nicht auch ein Todesurteil sein kann. Wisst ihr da mehr?
Also ich kenne das auch so, dass die aktiv auf einem Graspolster weggetragen werden, sofern man sie findet. Es wird gesagt, dass die Mütter die wiederfinden und annehmen und da die Jäger ja ziemlich genau das Rehwild im Revier persönlich kennen, denke ich mal dass das auch so ist. Immerhin haben sie so überhaupt eine Chance … Ich habe in unserem Lokalblatt auch schonmal was von einem Suchbündnis gelesen, aber aktiv im Revier sind die nicht aufgetaucht. Ein Jagdkollege meines Mannes sagte, dass das überwiegend Frauen sind und so wie ich das Weibsvolk hier kenne, sind die standorttreu und kümmern sich (neben Job, Ehrenamt, Kindern, Haushalt und Weinabenden mit den Mädels) eher um die ortseigenen Wiesen. Was ortsübergreifendes ist mir noch nicht unter gekommen, aber das kann ja auch sinnvoll sein. Überhaupt erstmal zu wissen, wem welche Wiese oder welcher Acker gehört und wie die im Jargon genannt werden ist für Zugezogene wie Vokabeln lernen. 😀
Wo die Jägerschaft zu finden ist, wissen die Landwirte ja trotzdem und es gibt hier schon einige, die da sehr aktiv werden.
Was das Atomgras angeht: ich merke immer mehr schmerzlich, wie industrialisiert die Landwirtschaft im Norden ist. Hier werden sich Geschichten erzählt über Bauerntöchter, die nach Bayern geheiratet haben, eine geht so: dort bewirtschaftet die ganze Familie 20 Milchkühe und alle sehen zu, dass sie von früh bis spät zu tun haben. Wovon die leben ist mir schleierhaft auch wenn es mehr Subventionen gibt als hier. Hier sind 20 Kühe eine Hobbynummer, etwas, was man nach Feierabend macht oder die Hausfrau nebenbei. Unter 100 Kühen nimmt dich keiner mehr ernst wird gesagt und in der näheren Umgebung gibt es welche, die weit über 500 gehen. Ich beneide die kleinteilige Landwirtschaft, die es z.B. in der Schweiz noch gibt.
Hier ist es zum K***** geworden und viele werden nun aufgeben weil sie durch die Milchpreise ausgehungert werden. Zum Nutzen der Agar-Wirtschaftsriesen und je grösser die Unternehmen sind, umso egaler ist ihnen, was mit den Leuten und Böden in der Region passiert. Da zählen Dividenden.
Ja, das ist dann wohl der Nachteil des flachen Landes. Hier sind die meisten Weideflächen ja eher klein (und schräg ;)), so dass man dort weder endlos viele Tiere halten noch ohne großen Aufwand endlos viel Heu oder Silage produzieren kann. Da denkt man wahrscheinlich automatisch in kleineren Zahlen. Auch hier leiden die Milchbauern aber unter den niedrigen Milchpreisen, natürlich. Da haben halt viele langfristig gesehen auf’s falsche Pferd bzw. die falsche Kuh gesetzt. Ironischerweise geht es hier ja gerade den Bauern mit den wenigen Tieren noch verhältnismäßig gut (das sind meistens auch die, die nebenher noch einen Handwerksbetrieb haben). Die haben halt ein zweites Einkommen und kommen dann mit etwas Unterstützung, z.B. aus dem Vertragsnaturschutz, einigermaßen zurecht. Die reinen konventionellen Milchbauern hoffen einfach nur, dass sie durchhalten können, bis die Milchpreise wieder hochgehen. Bei einigen hat das jetzt schon nicht funktioniert…
Ich hörte, dass es auch andere Bestimmungen zur Erhaltung des Ortsbildes gibt. Das hatte ich im letzten Kommentar noch vergessen zu erwähnen. Hier werden überall und ständig neue Hallen gebaut, Pultdach damit möglichst viel PV drauf geht, urhässlich und mit Metallblechen halb verkleidet. Die sehen neu schon rummelig und hässlich aus und verschandeln die Landschaft. Wie ich hörte, ist das anderswo nicht möglich einfach das komplette Landschaftsbild zu zerstören, da werden diese Ungetüme gar nicht erst erlaubt. Wie auch immer dem sei: die aktuelle Entwicklung ist eine Katastrophe und man kann nur hoffen, dass anstatt aufzugeben viele noch mal die Zähne zusammenbeissen und den Schwenk Richtung Biolandbau machen, den Biobauern geht es gut und die Zuwachszahlen geben noch Luft für mehr Landwirte.
Hier heisst es mittlerweile: „als ich noch 100.000 Euro Schulden hatte, konnte ich nicht schlafen deswegen. Jetzt habe ich eine Million ist da ist es eh egal.“
Ach ja, und zum Ursprungsthema: dort wo nicht gesucht und gestört wurde gab es wohl Kitzschäden. Schade.
Extrem Schade. Man versteht es auch einfach nicht. Denn es ist doch weder so schwer noch so teuer, zeitig Bescheid zu sagen. Aber ich glaube, viele Landwirte haben einen fest eingebauten „Das ist halt so, da kann man nichts machen“-Knopf im Kopf. Kitzschäden? Ist halt so, kann man nix machen. Resistente Bakterien durch Antibiotika-Prophylaxe? Ist halt so, kann man nix machen. Unglückliche Rinder, Gift im Gemüse, nitrarverseuchte Gewässer? Ist halt so… NEIN, IST ES NICHT, UND JA, MAN KANN! Man muss es halt bloß auch versuchen und nicht einfach nur sagen „geht ja nicht anders“.
Ganz genau so!
Eine sehr lobenswerte Aktion – ich frage mich auch regelmäßig, wieviele Rehkitze wieder auf den Wiesen ihr Leben lassen müssen… Leider habe ich hier noch nie von solchen Aktionen gehört, weiß aber auch nicht, ob die Bauern selbst dafür Sorge tragen… Und dabei ist der Aufwand wirklcih gering – es gibt jede Menge Naturliebhaber, die für die Bauern durchs Feld bzw. die Wiese gehen würden.
Herzliche Grüße, Birthe
Vielen Dank für Dein Feedback Birthe, ich denke man merkt an dem mitunter scharfen Ton meines Beitrags, dass ich mir auch viele Gedanken darüber mache. Das Problem ist meiner Meinung nach zum einen der Mangel an Kommunikation und dann eben mangelnde Bereitschaft, wenigstens Bescheid zu sagen. Wenn sich dann niemand findet, der sucht ist es schlimm genug, viel schlimmer aber eben wie Du schon sagst, wenn es prinzipiell Leute geben würde, die bereit sind zu suchen aber nichts davon erfahren, dass gemäht wird.
Man kann die Bauern immer wieder ansprechen und bitten und zum anderen den Kontakt zur Jägerschaft suchen und dort auch Bereitschaft signalisieren.
Je nach Chemie im Revier gibt es mehr oder weniger Gemeinschaftsaktionen und mehr oder weniger guten Kontakt zu den Bauern. Sowas könnte sicher zu einem beliebten Ehrenamt werden wenn es möglich ist, es ein ganz kleines bisschen zu koordinieren. 🙂
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende, oli
Ich werde mich morgen mal informieren – die Wiesen werden sicherlich in den nächsten Tagen gemäht! Liebe Grüße und einen schönen Restsonntag wünscht Birthe 🙂
Oh ja, berichte doch mal bitte wie es ausgeht. Liebe Grüße zurück, Oli
mal nichts zum nachkochen…aber viel zum nachdenken. danke fuer den beitrag!!!!